Back Forward

Dru. XXII-bis n. 1


Pag. 159

TEIL IV

ANALYSEVERSUCH DER MIT DEM CERMIS-UNGLÜCK VERBUNDENEN VERANTWORTUNGEN


1. VORWORT

In diesem Teil des Berichtes, nach der Darstellung in den obigen Teilen der Tätigkeit der Enquete-Kommission und der kritischen Prüfung des ihr zugekommenen complexen und reichen Materials, wird eine Rekonstruktion des Rahmens der Verantwortlichkeiten vorgenommen.
Diese Rekonstruktion will keineswegs den Rechtsgrund des Freispruches der zwei Piloten seitens der amerikanischen zuständigen Gerichtsbehörde in Frage stellen, deren Gerichtsbarkeit kraft internationaler Verträge keinerweise bestritten wird. Sie will auch nicht die Folgen dieser Urteile, bezüglich der Verantwotlichkeit der amerikanischen Befehlskette, in Frage stellen. In Bezug auf dieses Urteil und auf seine rechtlichen Auswirkungen stellt sich die Enquete-Kommission in eine gebührende Respekthaltung, wie es sich gegenüber einem Gerichtsbarkeitsakt einer ausländischen Rechtsordnung gehört.
Dasselbe gilt - obwohl selbstverständlich in einem anderen Normenzusammenhang - für die Feststellungen der Urteile der italienischen militärischen und ordentlichen Richterschaft, bezüglich der Verantwortlichkeiten der zuständigen militärischen Subjekte.
Die hier von der Enquete-Kommission ausgedrückten Bewertungen haben die Prägung eines politischen Aktes, der keine juristischen Folgen bezweckt, sondern zur Feststellung der Wahrheit beitragen will, nach den von der Abgeordnetenkammer im Errichtungsbeschluss derselben Kommission ausgesprochenen Zielsetzungen.
In dieser Perspektive soll die Rekonstruktion des Rahmens der Verantwortlichkeiten - vor allem im Fall der amerikanischen Piloten - aufgrund der italienischen Normenmasstäbe nicht als widersprüchig erscheinen.
Diese Rekonstruktion hat nämlich weder den Zweck der Verleugnung obiger Behauptungen noch den einer blossen akademischen Übung, sondern denjenigen, eine der Hauptaufgaben dieser Kommission ernsthaft und verstellungslos wahrzunehmen, u.z. «volles Licht über die Ereignisse, die Ursachen und die Verantwortlichkeiten, auf jeder Ebene, des Unfalls zu schaffen, der am 3. Februar 1998 in der Gemeinde Cavalese geschehen ist und der aus dem gewaltigen Aufprall eines amerikanischen Flugzeuges bei einem Ausbildungsfluges entstand, welches das Tragseil der Seilbahn des Cermis zerrissen hat und den Absturz der Kabine mit zwanzig Passagieren an Bord, alle verstorben, verursacht hat;» (Artikel 1, Ziffer a, des Errichtungsbeschlusses der Enquete-Kommission).


Pag. 160

2. DIE VERANTWORTLICHKEITEN DER BESATZUNG

2.1 Die Art der Schuld der Besatzung

Aufgrund der geprüften Unterlagen und der vorgenommenen Verhöre lassen die Aufnahmen der Enquete-Kommission die Verantwortlichkeit aller Besatzungsmitglieder nach der italienischen Rechtsordnung bezüglich der Bewirkung des Schadensereignisses bestätigen, und zwar wegen derjenigen Straftaten, die die Staatsanwaltschaft des Gerichts Trient, auf Mitwirkungswege ex Art. 81, Ab. 1 ital. StGB, auf die Straftandbestände der Mitwirkung an mehrfacher fahrlässiger Tötung (vorgesehen und bestraft nach Art. 113 i.V.m. Art. 589, Ab. 1 und 3 ital. StGB) und der Mitwirkung an fahrlässiger Transportgefährdung mit Folge eines Unglücks (vorgesehen und bestraft nach Art. 432 Ab. 1 und 3 i.V.m. Art. 449 ital. StGB) zurückgeführt hatte.
Das psychologische Verhalten der an der Mission EASY 01 teilnehmenden Militärs erweist sich nämlich als Schuld, u.z. als sowohl allgemeine als auch spezifische Schuld (vgl. Art. 43, Ab. 1 ital. StGB).
Die erste besteht aus der Verachtung der üblichen Regeln der Sorgfalt, Vorsicht und Fähigkeit, da sie sehr tief und sehr schnell über bewohnten Ortschaften flogen und die allgemeine Schuld erscheint noch offensichtlicher, wenn man bedenkt, dass es sich um einen Sichtflug bei optimaler Wetterlage handelte. Man sollte hinzufügen, dass sie alle erfahrene Militärs mit angemessenen Flugstunden waren und dass man von ihnen eine wohl andere Sorgfalt, Vorsicht und Fähigkeit verlangen konnte; keiner von ihnen litt an behindernden Pathologien (nur Hptm. Schweitzer wurde als NPQ - nicht physisch qualifiziert - wegen eines früheren Problems von Nierensteinen anerkannt - s. amerikanischen Ermittlungsausschuss - , aber er hat weder vor noch nach dem Unfall diesbezogene Probleme aufgewiesen oder ärztliche Behandlungen erfordert), die Sichtbarkeit an jenem Tag war optimal und der Radar-Altimeter des Flugzeuges (der perfekt funktionierte, wie alle anderen Bordinstrumente: das Flugzeug - möchten wir erläutern - war vor dem Abflug als «safe for flight» qualifiziert: s. Kapitel über den Prozess von Trient) wurde vorsätzlich nicht eingeschaltet (obwohl das Handbuch NATOPS seine Anwendung während des Tieffluges vorschrieb); man kann daher ausschliessen, dass sie nicht merkten, völlig vorschriftswidrig und dazu auch objektiv sehr gefährlich - aufgrund der besonderen überflogenen Boden- und Ortschaftsgestaltung - zu fliegen.
Obige Erläuterungen könnten auch nicht durch die Begründung der mangelnden neuerlichen Trainierung in den Tiefflugmissionen der Besatzung entkräftet werden. Diesbezüglich ist es zu erwägen, dass obige Militärs in den 30 Tagen vor dem Unfall folgende Flüge durchgeführt hatten (worüber der besagte amerikanische Ermittlungsausschuss vom 10/3/98 berichtet):
Hptm. Ashby 7 Flüge, für 14,5 Stunden insgesamt
Hptm. Schweitzer 8 Flüge, für 18,5 Stunden insgesamt


Pag. 161


Hptm. Raney 11 Flüge, für 21,9 Stunden insgesamt
Hptm. Seagraves 6 Flüge, für 10,7 Stunden insgesamt

Es ist auch wahr (s. Seite 28-29 des Berichtes des amerikanischen Ermittlungsausschusses vom 10/3/98), dass Hptm. Ashby den letzten Tiefflug am 3. Juli 1997 und, wie Hptm. Raney, in den letzten sechs Monaten vor dem Unfall keine Tiefflugmissionen durchgeführt hatte; Hptm. Schweitzer hatte dagegen zwei Tiefflugmissionen durchgeführt, darunter nur eine als ECMO1 und Hptm. Seagraves eine (am 13. Januar, bevor er in Aviano wiederangesetzt wurde). Die Ausbildung bezweckt jedoch bekanntlich die Erhaltung und/oder Besserung der theoretischen und praktischen Fähigkeiten der Besatzung, während im vorliegenden Fall das Bewusstsein des Risikos eines so leichtsinnigen Flugverhaltens (ohne jedwede dienstbezogene Rechtfertigung) zu ihrem schon erworbenen Kenntnissen- und Erfahrungsbestand hätte gehören sollen, angesichts der gesamten Flugstundenzahl auf dem EA-6B (s. obige Kapitel). Gerade die mangelnde Tiefflugausbildung der jüngsten Zeiten hätte dagegen erst recht empfehlen sollen, keine solchen leichtsinnigen Handlungen einzugehen.
Die spezifische Schuld würde dagegen in der offensichtlichen Verletzung des Auftrages bestehen, da besagte amerikanische Militärs weder den Flugplan bezüglich der Flugbahn, Flughöhe und Geschwindigkeit respektiert, noch die üblichen technischen Sicherheitsnormen befolgt haben (alles im vorliegenden Fall auf die Begriffe von Befehl und Disziplin zurückführbar). Obiges würde ausserdem dazu bringen, jede Rede über eine eventuelle Entlastung der Pflichterfüllung ex Art. 51 ital. StGB auszuschliessen, die von ihrer Natur nach unserer Rechtsordnung die Beachtung des Befehls voraussetzt, Befehl der im vorliegenden Fall vorsätzlich unbeachtet wurde.
Ausser dem Flugplan hat die Besatzung folgende Regeln verletzt:
die Mindestflughöhe von 1000 Fuss, die vom U.S. Marine Korps Order (T&R) für die Prowler vorgeschrieben war: es handelt sich um eine bestimmte Sicherheitsmassnahme, die die amerikanischen Militärbehörden für die Ausbildungsmissionen der Flugzeuge wie das EA-6B ergriffen hatten;
die Mindestflughöhe von 2000 Fuss, die für die Flüge im Trentino von der Meldung 1. ROC von Monte Venda des 16. August 1997 bestimmt wurde und am 29. desselben Monats in das FCIF des 31. Geschwaders eingetragen wurde; da eine Flugfahrtkartei mit der Bezeichnung der Grenze von 2000 Fuss auf der Route AV047 BD in der Datei «Low Level Sop» aufgefunden wurde, die von der Gruppe VMAQ-2 angewendet wurde, muss man vermuten, dass besagte Grenze für die obengenannten amerikanischen Militärs bekannt oder wenigstens leicht kennbar war;
die Mindestflughöhe von 1000 Fuss für die Winterflüge, d.h. vom 1. November bis zum 30. April, sowie in verschneiten Gebieten; diese Vorschrift war in der Meldung USAF MCI 11-F-16 enthalten; zweifellos hatten die amerikanischen Militärs davon Kenntnis, was auch der


Pag. 162

amerikanische Ermittlungsausschuss bestätigt hat: die in der Pilotenkabine des Prowler aufgefundenen Unterlagen wiesen auf diese Grenzen hin, was die Besatzung in ihrer Erklärung an den besagten Ermittlingsausschuss, keine Kenntnis darüber zu haben, dementiert;
das Überflugsverbot der bewohnten Ortschaften (Cavalese, im vorliegenden Fall) unter der Sicherheitsentfernung (eine Seemeile);
die auf italienischem Gebiet zugelassene Geschwindigkeit, die unter 2000 Fuss 450 Knoten war, während das Flugzeug im Moment des Unfalls bei ungefähr 540 Knoten, gleich 1000 Km/St. flog;
die Meldung SMA 175 vom 21. April 1997, die die Tiefflug-Ausbildung der in Italien für die Operation Deliberate Guard wiederangesetzten Truppen zu unterbinden beabsichtigte, obwohl der amerikanische Kommandant der Streitkräfte Süd Ausbildungsflüge für die in Aviano wiederangesetzten Prowler der VMAQ-2 autorisiert hat (worüber im Bericht des amerikanischen Ermittlungsausschusses gesprochen wird); jedenfalls hätte eine solche Massnahme niemals gegen die mit den italienischen Behörden abgeschlossene und in die obige Meldung übertragene Vereinbarung, bezüglich der Mindestflughöhen, verstossen können;
die Verpflichtung des Gebrauches der angepassten Karten, wie es die italienischen waren, die den Kommandanten des 31. FW vom CIGA (Zentrum der kartographischen Luftfahrt-Informationen) übermittelt wurden und, anders als die amerikanischen, die Seilbahn des Cermis aufzeichneten; darüber soll wiederholt werden, dass die amerikanischen Militärs keineswegs verpflichtet waren, nur die amerikanischen Karten vom Department of Defense, National Imagery and Mapping Agency (NIMA) anzuwenden und hätten daher entsprechend der erforderlichen berufsmässigen Sorgfalt die verfügbaren Karten vergleichen sollen, um dadurch die höhere Genauigkeit der italienischen festzustellen.

Nur letztere Verletzung könnte indessen keine verursachende Auswirkung entfaltet haben (s. unten), wenn der Pilot vorsätzlich und kühn schon seit Beginn der Mission beabsichtigt hätte, unter den Tragseilen der Seilbahn durchzufliegen (was das volle Bewusstsein ab origine des Hindernisses beweisen würde); die anderen Verletzungen haben alle eine verursachende Rolle im Unfall gespielt, insbesondere diejenigen bezüglich der Flughöhe, weil das Flugzeug sich unbestreitbar in einer völligen Sicherheitsposition gegenüber der unterstehenden Seilbahn befunden hätte, wenn es die von den geltenden Normen und vom Flugplan vorgeschriebenen Flughöhen eingehalten hätte.
Es ist desgleichen nicht anzunehmen, dass die Kausalverbindung zwischen dem beschriebenen Verhalten und dem Unfall nach Art. 41 ital. StGB durch das fehlende Signal des Raumbedarfes der Seilbahn-Tragseile


Pag. 163

unterbrochen würde, die somit aus einer grösseren Entfernung unsichtbar sein würden, da die Farbballoons und andere ähnlichen gewöhnlich zu diesem Zweck angewendeten Mittel bestimmt nicht früher und leichter zu bemerken waren als die gelbe Kabine der Seilbahn, die der Pilot des Prowler sicherlich sehen konnte, da die Sichtverhältnisse, wie gesagt, optimal waren.
Dagegen erscheint die Zulässigkeit der Autorisation des Fluges EASY 01 als nicht mit der Anschuldigung der Besatzung verbunden, denn es handelte sich um eine Mission, die, abgesehen von jeglicher Bewertung, der Besatzung die Entschuldigung der Pflichterfüllung gewähren würde.
Insbesondere hatte die Besatzung - die aus Militärs, u.zw. aus Personen, die einem öffentlichrechtlichen Unterordnungsverhältnis unterstehen, besteht - zweifelsfrei das Recht, den Befehl der Durchführung der Mission EASY 01 (an und für sich offensichtlich bestimmt nicht verbrecherisch) als völlig dienstgemäss und rechtsgültig von den Vorgesetzten erteilt zu empfinden.

2.2 Bewusste Fahrlässigkeit

Die obenerwähnte spezifische und allgemeine Schuld der gesamten Besatzung ergibt sich dann als durch die Voraussicht des Geschehnisses, nach Art. 61 Zif. 3 ital. StGB erschwert. Andersgesagt scheint es sich um ein klares Beispiel des Tatbestandes zu handeln, der von der italienischen Rechtssprechung und Rechtslehre als bewusste Fahrlässigkeit (oder Fahrlässigkeit mit Voraussicht) bezeichnet wird und die dadurch geprägt ist, dass das Schadensereignis, zwar nicht gewollt, doch vom handelnden Subjekt abstrakt vorgesehen ist, der mit der bestimmten Überzeugung, es vermeiden zu können, handelt.
Es handelt sich bekanntlich um eine Fahrlässigkeitsart, die - zwar begriffsmässig autonom und bestimmt - jedoch in der Justizerfahrung gegenüber der anderen psychologischen Haltung, dem bedingten Vorsatz, auf einer dünnen Grenzlinie liegt: auch hier sieht das handelnde Subjekt vor, dass ein Ereigniss geschieht, das von seiner Handlung nicht bezweckt wurde, im Sinne dass das wahrscheinliche oder auch nur mögliche Geschehen- trotz mangelnder Absicht - mit der Annahme des Risikos verbunden ist.
Anders gesagt besteht der Unterschied zwischen den zwei Formen des subjektiven Elements in der Voraussicht des Ereignisses. Diese bildet sich, wie mehrmals von der Rechtssprechung des italienischen Kassationsgerichtes erklärt, beim bedingten Vorsatz nicht als unsicher, sondern als so konkret möglich, dass das handelnde Subjekt - im Wollen seiner Handlung - das Risiko akzeptiert und der Wille dadurch auch das dargestellte Ereignis einbezieht. Die Annahme des Risikos liegt daher in re ipsa, indem das handelnde Subjekt das Schadensereignis als sicher oder höchst wahrscheinlich erachtet, mit anderen Worten als unbedingte oder sehr wahrscheinliche Folge seiner Handlung.
Bei der bewussten Fahrlässigkeit ist dagegen das mögliche Ereignis im Bewusstsein des handelnden Subjektes so abstrakt, dass es konkret


Pag. 164

nicht geschehen kann, vielleicht weil das Subjekt seinen Vermeidungsfähigkeiten vertraut, und daher vom selben keineswegs gewollt ist.
Es genügt ausserdemn nicht, dass das Ereignis bei der Wahrnehmung seiner Möglichkeit als objektiv voraussichtlich erscheint: erforderlich sind nämlich die konkrete Voraussicht und Vorsatz desselben, oder die leichtsinnige und fahrlässige Bewertung der Umstände (vgl. Kass. Nr. 6581 vom 29/04/1989, Verh. 15/07/1988).
Nach diesen Voraussetzungen kann ausgeschlossen werden, aufgrund der leichtsinnigen Risikobewertung der Gebietsgestaltung im Verhältnis zum Flugverhalten, dass der Pilot und die anderen Besatzungsmitglieder den Aufprall auf die Tragseile der Seilbahn als konkret möglich erachtet hätten, da sie aus übertriebenem Vertrauen auf ihre Erfahrungen und ihre Fähigkeiten meinten, das Schadensereignis vermeiden zu können. Sonst müsste angenommen werden, dass sie sogar die Lebensgefahr aus dem einzigen Grund des Fluges unter der zugelassenen Flughöhe akzeptiert hätten. Jedoch stehen das gewollte und das vorgesehene Ereignis offensichtlich in einem solchen Missverhältnis, dass diese Vermutung, aufgrund der Anwesenheit von mehreren Militärs an Bord, ausgeschlossen werden soll (die Lebensgefahr zu akzeptieren, ist schon für den einzelnen und noch mehr für vier Personen unwahrscheinlich).
Dass die Besatzungsmitglieder nicht konkret befürchteten, dem tragischen Unfall entgegenzugehen, ist im vorliegenden Fall dadurch nachgewiesen, dass sie Videokamera und Fotoapparat ins Flugzeug mitnahmen, und somit die Absicht hatten, eindrucksvolle Aufnahmen zu machen.
Solche Schlussfolgerungen erscheinen als begründet, abgesehen von den drei abstrakt formulierbaren Hypothesen (s. Kapitel über den Prozess von Trient) über die Absicht des Piloten bei der Annäherung an die Seilbahn: sei es, dass Hptm. Ashby Pilot die Tragseile nicht bemerkt hatte, sei es, dass er das Hindernis gesehen und es zu vermeiden versucht hat, sei es, dass er im voraus die kühne Absicht hatte, unter den Seilen durchzufliegen, soll erläutert werden, dass das Flugzeug sich in keinem Fall auf dieser Flugbahn, auf dieser Flughöhe und bei dieser Gescwindigkeit befinden sollte; die drei Hypothesen würden nur eine Schuldunterscheidung darstellen (offensichtlich höheren Grades im dritten und letzten Fall, bezüglich des kühnen zum Fähigkeits- und Mutbeweis unternommenen Manövers). Seinerseits wäre der Fahrlässigkeitsgrad nur bedeutend gewesen (ex Art. 133 Ab.1 ital. StGB), um die Strafe am Ende eines Prozesses zu bestimmen, der, wie gesagt, wegen des mangelnden Verzichtes der Vereinigten Staaten auf die prioritäre Gerichtsbarkeit nicht in Italien stattgefunden hat.

2.3 Die Position der einzelnen Besatzungsmitglieder

Obige Verletzungen sollen den einzelnen Besatzungsmitgliedern zugeschrieben werden.
Diesbezüglich kann ausgeschlossen werden, dass es sich hier um eine einfache Mitwirkung an unabhängigen fahrlässigen Taten handelt, weil sie sich alle auf demselben Flugzeug befanden und alle waren der


Pag. 165

gefährlichen Handlung anderer bewusst; kein Zweifel besteht über die grobe Fahrlässigkeit des Piloten, Hptm. Ashby, der persönlich mit der materiellen Führung des Flugzeuges beauftragt war. Was die anderen Besatzungsmitglieder anbelangt, müsste man zwei Hypothesen unterscheiden, die jedoch ähnlich in den Schlussfolgerungen bezüglich der Verantwortlichkeit sind: die erste besteht darin, dass die anderen Militärs an Bord den Piloten zur Verletzung obiger Vorschriften veranlasst oder aufgefordert hätten, und dadurch eine fahrlässige Mitwirkung durch eine kommissive, den gemeinsamen Verletzungswillen umsetzende Handlung begangen haben; die zweite besteht darin, dass sie aus einfacher Nachlässigkeit auf ihren Kollegen nicht intervenierten, um ihm die Fortführung seines leichtsinnigen Flugverhaltens zu verwehren.
Der Fund an Bord u.a. einer 35mm-Filmkamera, einer Videokamera und eines Fotoapparates würde für die erste sprechen. Dies beweist, dass andere Besatzungsmitglieder der Mission EASY 01, wenn nicht sogar alle, die Absicht hatten, - wie oft bei anderen Flügen auch geschah - Aufnahmen aus der Flugzeugkabine zu machen, sowohl um eine Erinnerung an die Ortschaften zu erhalten, als auch um einen Mut- und Fähigkeitsbeweis beim Tiefflug zwischen Bergen und Tälern der Alpen vorzuzeigen.
Dies erscheint als keineswegs nebensächlich, entgegen der unterschätzenden Meinung des amerikanischen Ausschusses, und würde die Annahme eines hohen und gleichwertigen Fahrlässigkeitsgrades zu Lasten aller bewirken, die der Entscheidung der bewussten Erhöhung des Flugrisikos zugestimmt haben, nur um eine Erinnerung vorzuzeigen und/oder Kühnheit und Gewandtheit auszukramen.
Eine erhebliche Fahrlässigkeit erweist sich jedoch auch, wenn man eine einfache omissive Mitwirkung vermutet. Sollten nicht alle anderen Besatzungsmitglieder die Absicht tiefzufliegen gebilligt haben, haben jedoch auch Hptm. Joseph Schweitzer, Hptm. William L. Raney und Hptm. Chandler P. Seagraves bewusst zum Geschehen des Unfalls beigetragen, weil jeder von ihnen seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist: nach der italienischen Rechtsordnung, ex Art. 40 ital. StGB, steht nämlich die Verletzung der rechtspflichtigen Vermeidung eines Geschehnisses gleich deren Verursachung.
Um ein besseres Verständnis obiger Argumente zu gewährleisten, ist es erforderlich zu wiederholen, dass die oben beschriebenen Ermittlungen die Feststellung von schweren Verletzungen des Flugplans und der erwogenen Vorschriften in wenigstens drei Flugstrecken gestattet haben (s. Kapitel bezüglich des Tatbestandes); es kann daher ausgeschlossen werden, dass der Unfall aus einer leichtsinnigen Handlung allein des Piloten erfolgte, die so plötzlich und unerwartet kam, dass alle anderen nicht rechtzeitig intervenieren konnten, um die regelmässige Durchführung des Fluges wiederherzustellen. Die Fortsetzung der Verletzungen während der meisten Zeit des Fluges und die mangelnde Notstandmeldung - vom Flugzeug an den Kontrollturm - vor dem Aufprall auf die Tragseile der Seilbahn lassen dagegen ausschliessen, dass alles plötzlich und/oder ausserhalb der konkreten Eingriffsmöglichkeit der anderen Besatzungsmitglieder geschehen sei.

Pag. 166


Nach dem Handbuch NATOPS «soll jedes Besatzungsmitglied seinen Verpflichtungen mit der Gesinnung der Verantwortungsbeteiligung nachkommen» und die Offiziere mit der Qualifizierung ECMO sollen sich ständig des Flugzeugzustandes und des Arbeitsmilieus vergewissern und auf den Piloten im Fall von Kollisionsgefahr intervenieren; das vorausgesetzt hat Hptm. Schweitzer die gleiche Fahrlässigkeit wie Hptm. Ashby begangen: er war als erster Offizier der elektronischen Gegenmassnahmen (ECMO) engagiert worden und in dieser Eigenschaftt hatte er auch den Auftrag der eventuell während der Mission erforderten Wiederplanung von Teilen des Fluges; er war auch für die Flugfahrt, für deren Systeme und für die Meldungen verantwortlich, mit der Pflicht des Waffen-Beistandes an den Piloten (im vorliegenden Fall nicht in Erwägung) und der Aufsichtsmitwirkung während des Fluges - aufgrund - u.a. - der begrenzten Sichtbarkeit aus dem Pilotensitz (lookout routing).
Kurz gesagt, war der ECMO1 verantwortlich für die gesamte Durchführung des Fluges.
Trotzdem hat Hptm. Schweitzer, obwohl er dazu befugt, verpflichtet und ermöglicht war (er sass sogar neben dem Piloten) es unterlassen, auf Hptm. Ashby zu intervenieren, um ihn zu verhindern, den Flugplan und die besagten Mindestflughöhen so schwer und wiederholt zu verletzen.
Ähnliches gilt für Hptm. William L. Raney und Hptm. Chandler P. Seagraves - wegen eines strafverfolgbaren und gleichwertigen Fahrlässigkeitsgrades - , die jeweils als ECMO2 und ECMO3 übernommen wurden, mit der Verantwortlichkeit der Vorflug-Belehrung und, innerhalb derselben, des Beistandes an den Piloten zur Bestimmung eventueller Luftfahrtgefahren.
Hptm. Raney und Hptm. Seagraves sind im Grunde ihrer Hauptverpflichtung nicht nachgekommen, d.h. jener der Flugsicherheit bezüglich der Luftfahrtgefahren, obwohl der einleuchtende Unterschied zwischen der vorgeschriebenen und der tatsächlichen Flughöhe und Geschwindigkeit die Tragweite und die Art der Risiken sicherlich sehr gut erkennen liess.
Da es klar war, dass das Flugzeug tiefflog und - mindestens - den Flugplan missachtete, hätten ECMO2 und ECMO3 aus dem mangelnden Warnsignal entnehmen sollen, dass der Radar-Altimeter nicht funktionierte, und die zwei vor ihnen sitzenden Kollegen darauf aufmerksam machen sollen (aus ihrem Sitz konnten ECMO2 und ECMO3 - sowie auch ECMO1 - den Radar-Altimeter nicht sehen, aber sie bekamen alle im Kopfhörer das bei Tiefflug einschaltende Warnsignal). Die einzige mögliche Erklärung dieser Unterlassung ist, dass sie auch darüber bewusst waren, dass der Radar-Altimeter vorsätzlich ausgeschaltet worden war ( oder - was hinsichtlich der Verantwortlichkeit gleichwertig ist - dass alle entschieden hatten, das Warnsignal zu ignorieren).
Da alle Besatzungsmitglieder dieselbe Rangordnung hatten- jedoch mit verschiedenen Aufgaben im Rahmen der Mission -, kann man ausschliessen, dass einer von ihnen die Unterlassung aus Ehrfurcht gegenüber dem Vorgesetzen begangen habe.

Pag. 167


Die Verteidigungslinie der Besatzungsmitglieder bei der Verwaltungsermittlung und beim Prosess vor dem amerikanischen Standgericht vermag die hier behaupteten Verantwortlichkeit nicht zu beeinträchtigen, weil obige Erläuterungen hinreichend beweisen, dass sie die geltenden Vorschriften über die Mindstflughöhe verachtet haben, sei es weil der Radar-Altimeter nicht funktionierte, sei es weil sie die Gefährlichkeit des Flugverhaltens nicht wahrnehmen konnten.

3. DIE AMERIKANISCHE BEFEHLSKETTE

3.1 Das Marines-Korps

Die inneren Disziplin-Untersuchungen.

Die Überprüfung der Verantwortlichkeiten für das Cermis-Unglück kann sicherlich nicht nur auf das Verhalten der Besatzung von der Mission EASY 01 beschränkt werden; dieselbe Art des Geschehnisses wirft neue Fragen auf, die die gesamte amerikanische Befehlskette verwickeln.
Diesbezüglich hat die Prüfung der Akten der militärgerichtlichen Prozesse in den Vereinigten Staaten der Enquete-Kommission unbekannte und wertvolle Elemente geliefert und hat die Rekonstruktion der ersten innehalb des Marines-Korps erweckten Reaktionen über das Unglück gestattet.
Am 5. Februar 1998, zwei Tage nach der Tragödie, beruft Maj. Gen. M. D. Ryan, derzeitiger Kommandant des zweiten Fluggeschwaders der Marines und daher direkter Vorgesetzter der in Aviano wiederangesetzten Gruppe VMAQ-2, eine Versammlung aller Offiziere der damals auf dem Stützpunkt Cherry Point - Sitz der Marines-Luftkräfte - stationierenden VMAQ-Fluggeschwader ein. Gegenüber mehr als 75% der Prowlers-Piloten liest der General die Titel und die negativen Kommentare der Zeitungen über die Tragödie von Cavalese laut vor und leitet dadurch ein dramatisches Treffen ein, das als «shock therapy» von einem der Teilnehmer bezeichnet wurde. Bei der Erläuterung des Geschehnisses erklärt er, dass zwei Tatsachen klar waren: der Flugplan sah eine Mindestflughöhe von 2000 Fuss und im Moment des Unfalls flog das Flugzeug unter 1000 Fuss. Nach dem General gab es keine andere Erklärung, ausser der, dass die Besatzung vorsätzlich tief und akrobatisch flog («flathatting»), unter bewusster Regelverletzung. Der General fährt aber fort: er klagt die gesamte Gemeinschaft der Prowlers-Piloten an, den Ruf der Regelverachtung und der Tiefflugliebe zu haben. Er kündigt an, dass er eine innere Untersuchung veranlassen wird, um jeden einzelnen Regelverletzer aufzufinden und auszustossen.
Es scheint also, dass für den General die Cermis-Tragödie kein Ergebnis einer isolierten und gelegentlichen Episode ist.
Der General verbleibt jedoch nicht bei den Worten: am nächsten Tag enthebt er aus eigener Macht Oberstleutnant Steven Watters von der Führung der Gruppe VMAQ-3, die 1997 in Aviano stationierende


Pag. 168

Prowlers-Gruppe, die dann von der VMAQ-2 ersetzt wurde. Der Grund dieser strengen Entscheidung liegt in einer Meldung, die der legal officer der VMAQ-3, mit einer nicht zufälligen Zeitwahl, an Gen. Ryan sendet und mit der er den Kommandanten der Gruppe wegen Flugunkorrektheiten anklagt. Nach der Enthebung von Oberstleutnant Watters vom Kommando, veranlasst der General eine Verwaltungsermittlung über die angezeigten Tatbestände, die er seinem Assistenten anvertraut, der Brig. Gen. William Bowdon. Im Laufe derselben wird eine Videoaufnahme eines am 3. April 1997 von einem in Aviano stationierenden Prowler durchgeführten Tieffluges aufgefunden. Das aus der Aufnahme hervorkommende Flugverhalten verletzt offensichtlich die OPNAV-Regeln: «Das betroffene Flugzeug flog zu tief über bewohnten Ortschaften und führte Tief- und Kunstflüge («flathatting») im Gebirge durch». Der Flugkurs jenes Prowler war der AV047, derselbe des tragischen Fluges von 3. Februar 1998. An Bord war auch der Kommandant der Gruppe, Oberstleutnant Watters, der keine Massnahme zur Vermeidung oder Besserung des unkorrekten Flugverhaltens des Piloten ergriff.
Aus der Verwaltungsermittlung ergibt sich, dass am Tag nach dem Cermis-Unglück Oberstleutnant Watters ein Treffen aller Offiziere seiner Gruppe einberufen hat. Zweck der Sitzung war, alle über den Unfall und seine Folgen zu informieren. Aber am Ende empfahl der Kommandant seinen Leuten: jeder, der Kopien der Video-Aufnahmen der Tiefflüge hatte, möge sie verschwinden lassen. Nach Gen. Ryan «entsprachen solche Erklärungen nicht einem Offizier und einem Gentleman, besonders angesichts seiner Eigenschaft als Kommandant und der Wichtigkeit des Treffens», bei dem sie erlassen wurden.
Deswegen und wegen des Unterlassungsverhaltens während des Fluges vom 3. April 1997, wird Oberstleutnant Watters am Ende des Disziplinverfahrens gegen ihn im April 1998 mit dem Kasernenarrest von 14 Tagen, dem Gehaltsabzug von 2.472 Dollar monatlich für zwei Monate und der Verpflichtung bestraft, einen Vortrag über die erhaltene «Lektion» an jede VMAQ-Gruppe und über die zur zukünftigen Vermeidung ähnlicher Situationen zu ergreifenden Massnahmen zu halten.
In den folgenden Tagen und Wochen führt Brig. Gen. Bowdon, im Auftrag von Maj. Gen. Ryan, eine andere Verwaltungsermittlung über das Verhalten der in Aviano wiederangesetzten Prowler-Gruppen durch. Während derselben verhört er alle Offiziere bezüglich des Flugverhaltens im Zeitraum ihres Einsatzes in Aviano, nachdem er sie an ihre Rechte erinnert hat, da sie wegen Vorschriftsverletzung verdächtig waren.
Die Untersuchung ist darauf gezielt, die eventuelle Nachlässigkeit der Überprüfer der VMAQ-2 und die Verbindung mit dem Unfall festzustellen. Als Ergebnis werden vier Offiziere jener Gruppe - der Kommandant, der executive officer, der Operationen-Offizier und der Sicherheits-Offizier - disziplinär beschuldigt. Am 6.-8. August 1998 findet die Verhandlung statt, mit Lt. Gen. Pace, Kommandant der Marines, Abteilung Atlantik als Präsidenten. Am Ende derselben werden der Sicherheits-Offizier - Maj. Max Caramanian - und der

Pag. 169

Kommandant der Gruppe - Oberstleutnant Muegge - als schluldig der Pflichtverletzung (dereliction of duty) anerkannt, weil die Informationen über die Fluggrenzen schlecht oder überhaupt nicht unter den Piloten der VMAQ-2 bekanntgegeben wurden. Darauffolgend wurde Kommandant Muegge von seinem Amt enthoben.
Obige Episode wurden aus den dem Militärgericht von der Verteidigung von Hptm. Ashby vorgebrachten Unterlagen entnommen, die als Prozessbestand nicht zugelassen wurden, jedoch den Prozessakten beigelegt sind. Die Unterlagen beziehen sich nur auf die Ergebnisse der Untersuchung und gestatten nicht, die während der Ermittlungen vorgenommenen Feststellungen zu kennen. Bezüglich der Behauptungen von Maj. Gen. Ryan gibt es einige vereidigte Erklärungen der Teilnehmer des Treffens. Das Verfahren gegen Oberstleutnant Watters ist durch den von Gen. Ryan unterfertigten Bericht der Disziplinbestrafung bewiesen.
Aufgrund dieser Ergebnisse hat die Enquete-Kommission durch die Botschaft in Rom und während des Besuches beim Pentagon vom 20. November 2000 die Regierung der Vereinigten Staaten formell beantragt, die gleichlautende Kopie der Unterlagen der Disziplinverfahren bezüglich des Cermis-Unglücks zu erhalten und Gen. Ryan und Gen. Bowden direkt verhören zu können.
Keiner der Anträge hatte positiven Ausgang, aufgrund einer behaupteten Unvorweisbarkeit von solchen Akten.
Dies hat den italienischen Behörden und der italienischen öffentlichen Meinung den Zugang zu bestimmt interessanten Daten verweigert, die sowohl die gesamte Rekonstruktion der Verantwortlichkeiten als auch die Abfassung von Normen und Verfahren zur Vermeidung ähnlicher Geschehnisse gewährleistet hätten. Die Verweigerung, der Enquete-Kommission die gesamten Ergebnisse der Untersuchungen über das Verhalten der in Italien wiederangesetzten Gruppen kennen zu lassen, bewirkt die Annahme, mangels anderer Begründungen, dass seitens des Marines-Korps ernste Verlegenheit bezüglich der Verhalten seiner Piloten besteht.
Trotz der Unvollkommenheit gestatten jedoch die von der Enquete-Kommission erworbenen Daten, zusammen mit den bereits im Besitz der italienischen ermittelnden Behörden, einige festen Punkte bezüglich der Flugverhalten der in Aviano wiederangesetzten Piloten und ihrer Kommandanten zu bestimmen. Die am meisten wegen des Inhaltes, wegen des Zusammenhangs und wegen des Ranges des Autors verwirrende Behauptung ist diejenige vom Maj. Gen. Ryan, Hauptoffizier der Luftfahrtabteilung der Marines: er behauptete, dass die Piloten der Prowler bekanntlich undiszipliniert und zum Tiefflug und zur Regelverletzung geneigt sind. Dass es sich nicht um eine übertriebene oder emotionelle Behauptung handelt, ist sowohl aus den einem so hochrangigen Offizier zugehörigen Eigenschaften, als auch aus der Watters-Geschichte zu entnehmen. Wie bekannt, nahm sogar der Kommandant der in Aviano stationierenden Gruppe der Prowler an einem dieser «Kunst- und Tiefflüge» im Berggebiet teil, unter Verletzung der Flugsicherheits-Regeln. Nicht zufällig geschah dies auf der Flugroute AV047: sie gestattete den Flug in einem der schönsten

Pag. 170

und spektakulärsten Berggebieten der Welt, wie dieselben vom Militärgericht vernommenen Piloten bestätigt haben. So schön, dass sie die Verewigung in zur Heimat mitzubringenden Erinnerungs-Videos verdienten (die von Watters einberufene Sitzung der VMAQ-2 findet im Stützpunkt Cherry Point, Nord-Carolina statt). Die von Watters ausgedrückte Notwendigkeit, alle Videos dieser Flüge verschwinden zu lassen, hat wenigstens zwei Bedeutungen: zuerst, dass die Videos mehrere waren, d.h. von mehreren Flügen. Watters hätte sich gegenüber der ganzen Gruppe nicht mit einer «eines Offiziers nicht würdigen» Forderung blossgestellt, wenne es sich nur um die Eintreibung des Videos seines Fluges vom 3. April 1997 gehandelt hätte; dafür hätte es gereicht, dass er an den Autor des Videos separat heran getreten wäre oder höchstens an die anderen drei Besatzungsmitglieder jenes Fluges. Zweitens bedeutet es, dass das von jenen Aufnahmen nachgewiesene Flugverhalten offensichtlich und bewusst regelwidrig war, wie dann gerade im Video ersichtlich wurde, das Watters, leider für ihn, nicht rechtzeitig zum Verschwinden brachte.
Nicht zufällig hat dann auch die Besatzung der EASY 01 einen privaten Fotoapparat und eine private Videokamera während des Fluges gebraucht und dann die Aufnahmen gelöscht. Auf dieser Flugroute war die Anwendung von Aufnahmegeräten üblich für die Besatzungen und wahrscheinlich war es auch einer der Gründe der Verletzung der Sicherheits-Mindestflughöhe.
Man kann daher wohl behaupten, dass das Verhalten der Flugbesatzung der EASY 01 keine isolierte Episode der Verletzung der Sicherheitsnormen seitens der Besatzungen der in diesen Jahren in Aviano wiederangesetzten Marines darstellte.
Dies veranlasst zu der Frage der Mit-Veantwortlichkeit der direkten Kommandanten der Besatzung, die den Unfall verursachte, und allgemein die Frage der effektiven Kontrollfähigkeit der amerikanischen Befehlkette.

3.2 Die Gruppe VMAQ-2

Die mangelnde Verbreitung des FCIF 97-16.

Die Enquete-Kommission hat in obiger Weise erfahren, dass der Kommandant und der Sicherheits-Offizier der VMAQ-2 als schuldig beurteilt und vom Marines-Korps bestraft wurden, weil sie für die Verbreitung in der Gruppe der erforderlichen Informationen über die Fluggrenzen nicht gesorgt hatten. Obwohl die Details der Verwaltungsuntersuchung nicht bekannt sind, ist es klar, dass man sich dabei auf die mangelnde Information der Piloten über die Einschränkung auf 2000 Fuss auf dem Gebiet des Trentino-Alto Adige bezieht, die von den italienischen Behörden am 16. August 1997 erlassen wurde und im FCIF 97-16 (Flight Crew Information File: Dokument der Informationen für die Flugbesatzungen) des 31. Geschwaders der amerikanischen Luftwaffe des 29. August 1997 enthalten ist.
Die bei den amerikanischen Verwaltungs- und Strafverfahren durchgeführten Untersuchungen haben festgestellt, dass die Planung


Pag. 171

und Durchführung der Flüge der VMAQ-2 diese Flugeinschränkung im Trentino-Alto Adige überhaupt nicht in Betracht zog. Vom August 1997 bis zum Tag des Unfalls wurden die Flüge jener Gruppe auf der Flugroute AV047 (die meist angewendete für die Tiefflüge) immer auf 1000 Fuss geplant, nach dem Geständnis des Kommandanten Oberstleutnant Muegge, der dreimal auf der Route AV047 unbeachtet dieser Einschränkung flog. Nach den in den verschiedenen Prozessen eingeholten Aussagen wussten weder der Kommandant der Gruppe, noch der Sichrheits-Offizier, noch die Piloten der VMAQ-2 (ausser einem, scheint es) von der Existenz selbst des FCIF 97-16.
Man darf die Glaubwürdigkeit solcher Behauptungen der Besatzungsmitglieder wohl bezweifeln, die eher als Hilfeversuche an die prozessierten Kamaraden sowie als Selbstverteidigung in den Disziplinverfahren erscheinen, da es erst nach dem Unfall hervorkam, dass die gesamte Gruppe, einschliesslich des Kommandanten, monatelang bei Verletzung jener Regeln geflogen war.
Viele Elemente bezeichnen nämlich, dass die Gruppe davon Kenntnis hatte (oder wenigstens haben sollte). In erster Linie, wie vom Detektiv Fallon beim Prozess gegen Ashby bestätigt, wurden zwei Luftfahrt-Karten auf dem Flugzeug der Mission EASY 01 ausfindig gemacht (eine auf dem Vordersitz und eine auf dem Hintersitz), die die Einschränkung auf 2000 Fuss des FCIF 97-16 aufweisen. Man kann entnehmen, dass der Pilot und der Navigator verschiedenartige Karten anwendeten oder dass sie jenen Hinweis als nicht verbindlich oder als nur planmässig erachteten, wie der executive Offizier der Gruppe, Maj. Slyman, erklärte, aber es ist schwer von Ignoranz zu sprechen. Umsomehr als Oberst Rogers, Kommandant des in Aviano ansässigen 31. Geschwaders ausführlich über die zur Verbreitung der Information unter allen in Aviano im August 1997 wiederangesetzten Gruppen ergriffenen Massnahmen ausgesagt hat. Das Dokument wurde an alle Einheiten übermittelt und wurde in der darauffolgenden Wochen-Sitzung diskutiert, wobei der operative Verantwortliche des 31. Geschwaders alle in Aviano wiederangesetzten Abteilungen über die eingetroffenen Neuigkeiten informierte.
Die Marines hatten sich jedoch nicht als sorgfältig bei der Sammlung von Informationen über das italienische Flugbereich erwiesen: anders als die anderen Gast-Abteilungen in Aviano, wurden sie bei den Informationssitzungen oft von einem Subalternoffizier vertreten, und ihr Briefkasten, wodurch die verschiedenen Anseisungen geliefert wurden, wurde nicht regelmässig geleert.
Im besten Fall sollte die VMAQ-2, und besonders ihrem Kommandanten, Oberst Muegge, ein nachlässiges Verhalten vorgeworfen werden, da sie keine Rücksicht auf die Annahme und die Verbreitung der im Gastgeber-Land geltenden Flugregeln nahmen oder dieselben sogar völlig verachteten. Wie aus der Gesamtprüfung der Prozessdaten zu entnehmen ist, fühlten sich die Marines als eine von den anderen in Aviano anwesenden Fliegern unabhängige und fernstehende Gruppe.
Man möchte jedoch unterstreichen, dass dieses Verhalten des Kommandanten der VMAQ-2 und im allgemeinen die mangelhafte Verbreitung der Informationen die Verantwortlichkeit der Piloten der

Pag. 172

EASY 01 durchaus nicht mindert, die lediglich die Flughöhegrenze von 1500 Fuss auf den bewohnten Ortschaften sowie die allgemeine von 1000 Fuss für die Prowler kannten, die sie weitgehend verletzt haben.

Die Planung des Fluges EASY 01.

Oberstleutnant Muegge hat die mangelnde Verbreitung aller Informationen zwar mit der Enthebung von seinem Amt bezahlt, aber dies war nicht das ihm vorzuwerfende meist strafbare Verhalten.
Oberstleutnant Muegge war der Kommandant einer kleinen Gruppe von Piloten (weniger als ein Dutzend) und war selbst Pilot. Als solcher musste er volles Bewusstsein und Kontrolle der Fähigkeiten und des Flugverhaltens der Mitglieder seiner Gruppe haben. Hier bezieht man sich nicht auf die technische Kontrolle des Flugverhaltens, die (nur teilweise) durch technische Instrumente wie Radar ausgeführt werden kann, sondern auf die typischen Fähigkeiten der Kommando-Offiziere, die sogar einen gewissen Grad von Kenntnis und Kontrolle des Privatlebens der Untergeordneten voraussetzten, vor allem wenn sie im Ausland in Kriegsmissionen eingesetzt sind.
Die Benützung von privaten Videorecorders während der Missionen ist kein Benehmen, das der Kontrolle des Kommandanten einer so begrenzten Gruppe entgehen kann, wenigstens um anderen zu zeigen, wieviel man während der Flüge gesehen (und geleistet) hat. Aus den obigen Prozessergebnissen kann durchaus entnommen werden, dass die o.e. Instrumente regelmässig von den Piloten - und von ihren Kommandanten - ohne jegliche Verheimlichung benutzt wurden. Man bedenke, dass die Benützung einer Videokamera bei der Mission EASY01 wenigstens von drei Gefreiten bemerkt wurde, die ausgesagt haben: der Gefreite Cottrell hat über den verspäteten Antrieb der Flugmotoren berichtet, in Erwartung der Übergabe der zwei Videofilme, die der Besatzung von den Gefreiten Packman und Ransom schnell gebracht wurden. Die Benützung solcher Apparate stellt sicher, auch wenn sie nicht ausdrücklich verboten ist, eine Gefahr beim Tiefflug dar, der ein Sichtflug ist (d.h. «Blick auf den Boden - Blick auf die Karte und umgekehrt»), der schwer auszuführen ist, wenn man mit filmen und fotografieren beschäftigt ist. Trotzdem ist es nicht bekannt, dass der Kommandant Muegge jemals in irgendeiner Weise auf solche Verhalten reagiert hätte.
Ausser dem der Flugsicherheit gibt es einen anderen Aspekt über den Gebrauch von Aufnahmeapparaten, der ihn noch gefährlicher macht. Die AV047 ist eine der drei für die Gruppe verfügbaren Tiefflugstrecken; von diesen ist sie die einzige, die auf Berggebiet verläuft und deshalb, wie derselbe Kommandant Muegge erklärt, ist sie auch die leichteste, da die Hauptschwierigkeiten des Tiefflugs die Orientierung und die Bestimmung von Bezugspunkten auf dem Boden sind.
Dieser Kurs jedoch ist auch derjenige, der den Blick von wunderschönen Landschaften gestattet, die man dann den Freunden zu Hause zeigen kann (wie der unglückselige Vorgänger von Muegge,


Pag. 173

Oberstleutnant Watters getan hat). Und sie ist die am meisten benutzte für die Tiefflug-Ausbildungsflüge, deren Beschluss dem Kommandanten der Gruppe zusteht. Es können daher einige Zweifel über den tatsächlichen Ausbildungszweck dieser Flüge kommen, die von diesen so an der Landschaft interessierten Piloten durchgeführt wurden. Zweifel, die Gestalt annehmen, wenn man spezifisch die Mission EASY01 betrachtet: der Pilot Ashby ist seit kurzem für eine Beförderung als Pilot des F-18 ausgewählt worden; in ungefähr zehn Tagen endet seine Einsatzzeit in Italien und nach seiner Rückkehr in die Heimat wird er die Ausbildung auf den F-18 beginnen müssen, die volkommen andere Flugzeuge sind; er hat seinen letzten Ausbildungs-Tiefflug mit dem Prowler vor weniger als sechs Monaten.
Der Navigator Schweitzer hatte seine letzten Tiefflüge vor weniger als drei Monaten durchgeführt, deshalb benötigte er keine weiteren Trainierungen.
Derselbe operative Offizier der VMAQ-2, der als Zeuge im Prozess gegen Ashby vernommen wurde, gibt zu, dass keine Priorität für die Ausbildungs-Tiefflüge bezüglich der Deliberate Guard bestand: sie wurden in den Wiederansatz-Zonen ausschliesslich zur Erhaltung der Fachfähigkeiten der Piloten und um die Fach-Ausbildung zu Hause nicht von Anfang an zu wiederholen, durchgeführt.
Ein Flug pro Halbjahr war im Handbuch der Ausbildung und der Fähigkeit für die Piloten der Marines vorgesehen. Weder der Pilot noch der Navigator brauchten also eine spezifische Ausbildung.
Aber welche war die Zweckbestimmung der EASY 01, da sie weder eine operative noch eine Ausbildungsmission war? Die Erklärung könnte sich in jener Videokamera - mit, aufgepasst, zwei Filmen - und im Fotoapparat finden, die völlig selbstverständlich von der Besatzung an Bord mitgenommen wurden: es könnte sich um den «Prämie-Flug» - wie aus vielen Indizien ersichtlich - handeln, der dem wegen Beförderung ausscheidenden Kamaraden von den Vorgesetzten gewährt wird, um ihn durch die letzte Möglichkeit zu gratifizieren, eine einmalige Erinnerung mit nach Hause zu nehmen.
Hier fügt sich ein weiteres Fragezeichen ein: die mitzunehmende Erinnerung ist nur diejenige der Berglandschaften oder auch diejenige eines «Kunstbeweises» zum Prunk mit den Kamaraden? Die Frage entsteht vor allem durch den Fall Watters: auf derselben Route, kaum ein Jahr zuvor, dokumentiert der Chef der in Aviano vor der VMAQ-2 wiederangesetzten Gruppe der Prowler mit der Videokamera seinen Tiefflug, weswegen er dann bestraft wird; nach der Cermis-Tragödie fordert er seine Leute auf, ähnliche Filme verschwinden zu lassen.
Man kann wohl meinen, dass die Filme nicht nur malerische Abbildungen der Alpen enthielten, sondern dass sie von den Autoren zum Prunken mit den Kollegen aufbewahrt wurden. Die Aufforderung von Oberstleutnant Watters ist an die schon seit Monaten in die Vereinigten Staaten zurückgekehrten Piloten gerichtet, denn er wusste genau, wie viele Filme umgingen und was darin aufgenommen wurde. Warum sonst hätte er sie Gen. Ryan nicht zeigen sollen, als er sie alle streng beschimpft hatte und ihnen vorgeworfen hatte, ein Haufen Wagehalsiger Indisziplinierter zu sein?

Pag. 174


Ähnlicherweise war Schweitzers und Ashbys erster Gedanke nach der Notlandung in Aviano, die während des Fluges gedrehten Filme verschwinden zu lassen und sie zu substituieren. Es gibt eine einzige Erklärung: in ihnen war der Beweis für ihr unkorrektes und leichtsinniges Verhalten: da es schief gegangen war, sollte man sie sofort verschwinden lassen.
Es gibt sogar Elemente, die zur Meinung führen, dass der vorzuzeigende «Kunstbeweis» - wenigstens beim tragischen Flug, der zum Unglück führte, aber vielleicht auch bei anderen - gerade mit der Cermis-Seilbahn verbunden war. Zuerst der Satz des Navigators Schweitzer, der wenige Augenblicke vor dem Überflug des Cermis «Ziel in Sicht» ruft, wie er selbst im Laufe des Prozesses gegen Ashby erklärte. Es gab kein vorgeschriebenes Ziel; es gab nur einige von der Besatzung ausgewählte Bezugspunkte. Kann daher der Gedanke gerechtfertigt sein, dass die Piloten der VMAQ-2 - und insbesondere diese Piloten -, die auf dieser Tiefflugroute oft geflogen waren, diese das Tal überquerenden Seile nicht kannten? Und dass gerade diese Seile das Ziel waren? Wie ihr Kommandant Muegge sagt, hatten alle Piloten Kenntnis von den Schigebieten auf der Route. Vielleicht, können wir hinzufügen, waren sie sogar dorthin schifahren gegangen.
Ein weiterer Beweis des Bewusstseins der Besatzung ist auch das Flugverhalten des Piloten in den letzten Augenblicken vor dem Unfall: seit er in Val di Fiemme eingeflogen ist, treibt er das Flugzeug zur technisch höchstmöglichen Geschwindigkeit (540 Knoten) - weit über der autorisierten Geschwindigkeit von 420 Knoten) - und stellt einen schnellen Abflug (2400 Fuss pro Minute) ein, der das Flugzeug auf eine Höhe bringt - 357 Fuss - , die 65% unter der für die Prowler allgemein zugelassenen Mindesthöhe ist. Ein wagehalsiges fast unglaubiges Manöver, das jedoch eine Logik erlangt, wenn man an einen bewussten Versuch denkt, unter den Tragseilen der Seilbahn durch zu fliegen, der nur deswegen scheiterte, weil das Vorbeifahren der Kabine in diesem Moment ein Tragseil herabgezogen hat.
Aufgrund der nicht gewährten Möglickeit, die Akten der von den Marines durchgeführten Untersuchungen zu erwerben und die dafür tätigen Offiziere zu vernehmen wegen der mangelnden amerikanischen Mitwirkung, konnte die Enquete-Kommission den schweren Zweifel nicht lösen, der über die Gründe eines solchen Flugverhaltens verbleibt. Wir können daher keine Sicherheit über das Bestehen eines «Clubs der Seilbahn» bei der VMAQ-2 erlangen, wie vor demselben amerikanischen Militärgericht angedeutet wurde. Jedoch lassen die von der Enquete-Kommission erworbenen Unterlagen, zusammen mit der bereits zur Verfügung der italienischen ermittelnden Behörden stehenden, die Vermutung als keineswegs unwahrscheinlich erachten.
Das Verhalten und das Befehlsvermögen von Oberstleutnant Muegge können in keinem Fall frei von schwerem Tadel sein. Er erwies sich als ein völlig unfähiger Kommandanten, sei es, dass er sich nur gefällig gegenüber seinen regelverachtenden Piloten verhalten hat, sei es, dass er persönlich an der unheilvollen Mission EASY 01 teilgenommen hat und einen als Ausbildungsflug verkleideten «Prämieflug» geplant hat, ohne an seine Kenntnis über das Bestehen eines «Clubs

Pag. 175

der Seilbahn» zu denken. Seine Kommando- und Kontrollunfähigkeit über seine Mannschaft, wenn nicht sogar seine Beihilfe, hat eine tiefgreifende Rolle in der Verursachung des Cermis-Unglücks gespielt.
Die zahlreichen Indizien über die Üblichkeit eines wagehalsigen oder wenigstens schwer nachlässigen Verhaltens seitens der in Aviano wiederangesetzten Gruppen der Marines-Piloten und deren Kommandanten erwecken einige Fragen über die Wirksamkeit der Kontrollen in der Kommando- und Kontrollkette über diese Abteilungen.

3.3 Das 31. Geschwader US AIR FORCE

Es soll im voraus, wenigstens genauso nachdrücklich wie bei der Erläuterung des negativen, das Unglück verursachenden Verhaltens, unterstrichen werden, dass die Piloten des 31. Geschwaders der amerikanischen Luftwaffe niemals solche Flugverhalten aufwiesen, wie diejenige der in Aviano wiederangesetzten Gruppen. Sie waren in Italien ansässig, in eine bestimmte Befehlskette einbezogen, über die lokalen Flugregeln informiert und deren entsprechend bewusst: aus diesen Gründen ist es niemals zu Problemen bezüglich der Flüge dieser Gruppe gekommen.
Das 31. Geschwader war für den Beistand an die wiederangesetzten Fluggruppen, darunter die VMAQ der Marines, zuständig. Unter den Beistandsaufgaben war auch die Belehrung und die Fortbildung über die lokalen Flugvorschriften. Diese Pflicht wurde durch die Verteilung der Unterlagen in die Briefkasten jeder Abteilung sowie durch wöchentliche Sitzungen über die operativen Neuigkeiten erfüllt, in denen die wichtigsten besonders erläutert wurden. Zu den Sitzungen wurden die Kommandanten aller im Stützpunkt wiederangesetzten NATO-Abteilungen eingeladen.
Auf dieser Weise wurde auch das FCIF 97-16 bekannt gegeben, das den meisten Piloten der VMAQ-2, nach ihren eigenen Erklärungen, unbekannt blieb. Offensichtlich waren die Verbreitungsmethoden (in Militärsprache: «Aussaat») der Informationen unzureichend. Einerseits ist es zu erwähnen, dass die Teilnahme der VMAQ an den wöchentlichen Sitzungen normalerweise auf eine niedrigere Ebene als diejenige des Abteilungschefs beschränkt war, anders als für die anderen Abteilungen. Andererseits hat es sich ergeben, dass, wie gesagt, der Briefkasten dieser Abteilung ständig voll von nicht abgenommenen Unterlagen war, was die Interesselosigkeit für die lokalen Regeln jener Gruppe, die nur vorübergehend in Italien war, bewies.
Dies kann nur begrenzt den Verantwortlichen des 31. Geschwaders (Brig. Gen. Peppe, Kommandant, und Oberst Rogers, Operationen-Beauftragter) vorgeworfen werden. Sie waren nämlich den wiederangesetzten Abteilungen nicht übergeordnet und hatten daher keine Befehlsgewalt ihnen gegenüber, auch nicht um festzustellen, ob die bei den wöchentlichen Sitzungen gelieferten Informationen innerhalb der Gruppe verbreitet wurden. Im Grunde stand ihnen keine Kontrollbefugnis zu, weder bezüglich des Flugverhaltens noch bezüglich der Innenorganisation der anderen Abteilungen.


Pag. 176


Trotzdem bestand vielleicht ein Raum für eine weniger bürokratische passive Haltung: eine Aufforderung auf eine sorgfältigere Teilnahme an den Sitzungen oder wenigstens auf die Abnahme der Anweisungen konnte unter die Befugnisse der Verantwortlichen des 31. Geschwaders fallen und hätte vielleicht die Unkenntnis (oder die Ausrede der Unkenntnis) des FCIF 97-16 vermeiden können.

3.4 Der Kommandant der Streitkräfte für den Süden (ComstrikeForSouth)

Im Zeitraum des Wiederansatzes in Aviano verblieb die operative Führung (COCOM) der VMAQ-2 beim Kommandanten der Marines-Kräfte der Vereinigten Staaten-Atlantik. Die operative Kontrolle (OPCON) wurde vom obigen Kommandanten durch eine Reihe von Bevollmächtigungen (u.zw. durch den Oberbefehlshaber des Kommandos USA in Europa, den alliierten Oberkommandanten in Europa, d.h. SACEUR-NATO, den Kommandanten der Alliierten Kräfte von Süd-Europa, d.h. CINCSOUTH-NATO) an den Kommandanten der Süd-Streitkräfte, COMSTRIKEFORSOUTH übertragen, während die taktische Kontrolle (TACON) dem Kommandanten der 5. ATAF für die Missionen «Deliberate Guard» (einschliesslich der diesbezugten Ausbildungsmissionen) anvertraut wurde.
Die Ausbildungsmissionen, die nicht der «D.G.» zugehörten, wurden vom besagten Kommandanten der Süd-Streitkräfte, unter der Bedingung der Priorität der «D.G.»-Missionen und der erforderlichen Nicht-Interferenz mit denselben, autorisiert. Die Planung der nicht-«D.G.»-Missionen (worunter, ausser den Ausbildungsmissionen, auch Probeflüge zur technischen, funktionellen oder sonstigen Kontrolle fallen konnten), die gemäss dem Handbuch Trainig und Fähigkeit durchzuführen waren, wurde vom Kommandanten der Gruppe (Oberstleutnant Muegge) genehmigt.
Wir möchten daran erinnern, dass die VMAQ-2 während des Wiederansatzes Nr. 69 Ausbildungs-Missionen durchgeführt hatte (von gesamten 254, wovon 164 für die «D.G.»); von diesen waren Nr. 11 (von 23 geplanten), einschliesslich der Mission «EASY 01» vom 3. Februar 1998, Tiefflüge; die anderen 12 wurden wegen schlechter Wetterlage und wegen eingetroffener Unverfügbarkeit der Flugzeuge gestrichen.
Wie von demselben amerikanischen Verwaltungs-Untersuchungsausschuss (sg. Ausschuss DeLong) festgestellt, standen die in Aviano wiederangesetzten Marines-Gruppen, wie die VMAQ-2, für die Nicht-«D.G.»-Ausbildung unter der Kontrolle des Kommandanten der Süd-Streitkräfte, aber dieser Kommandant kontrollierte die Ausbildungs-Tätigkeit nicht täglich und erteilte keine Vorschriften oder Richtlinien über dieselbe Ausbildung. Der Ausschuss fügte hinzu, dass die Kontroll- und Befehlskette, die nicht der NATO zugehörte, kompliziert und wenig reaktiv war, obwohl dies auf die Ursachen des Unfalls keine Auswirkung hatte.
Wie sich erwies (und wie der amerikanische Untersuchungsausschuss nicht unterlassen hat zu erwähnen), bestehen mehrere Zweifel


Pag. 177

über die effektive Nützlichkeit der Mission EASY 01, besonders wenn man bedenkt, dass der Pilot, der bald einer anderen Flugzeugart zugewiesen werden sollte, höchst wahrscheinlich nicht mehr auf dem EA-6B geflogen wäre. Darauffolgend hätten auch Bedenken entstehen können, bezüglich der Wirksamkeit, der Konsequenz und der Korrektheit der Kontrolltätigkeit des Kommandanten der Gruppe und des direkt übergeordneten Kommandos. Dies, weil ein Ausbildungsprogramm normalerweise von Kriterien und Richtlinien geprägt ist, die von den vorgesetzten Organen formuliert werden; es werden dadurch die Zielsetzungen, die zu erreichenden Zweckbestimmungen, die Inhalte, die Flugarten, ihre Verteilung, die Prioritäten, usw. berücksichtigt. Und es ist normal (da dies eine seiner Hauptpflichten ist), dass eine der Gruppe übergeordnete Führung die Durchführung eines bestimmten Programmes regelmässig kontrolliert, um seine Angemessenheit und Wirksamkeit zu überprüfen und festzustellen und um Ànderungen zur Optimierung derselben Ausbildung vorzuschlagen.
Bezüglich der Kontroll- und Befehlskette, die als kompliziert und wenig reaktiv beurteilt wurde, hat der Ausschuss DeLong keine Klärungen über das Verhältnis zwischen dem Kommando VMAQ-2 und dem Kommando COMSTRIKEFORSOUTH auf der nationalen Linie geliefert. Der Mangel dieser Kette an Linearität der Verhältnisse wurde von demselben Ausschuss bestätigt, der eine spezifische Empfehlung formulierte, um eine Befehlskette zu errichten, die die operative Kontrolle der zur Unterstützung der NATO-Operationen wiederangesetzten Gruppen USMC vorsieht; dies in der Absicht, sowohl die Verantwortlichkeiten und die Führungsbehörden für die Nicht-NATO-Missionen und für die Ausbildung im Operationsgebiet zu klären und zu vereinheitlichen, als auch die Anpassung der Verfahren an diejenigen der anderen Dienststellen zu erlangen.
Auch der Bericht des Ausschusses Tricarico-Prueher hat nämlich erläutert, dass die Kommando- und Kontrollverhältnisse vor dem Unfall kompliziert und gewissermassen unklar waren und zu einer gleichgültigen Stimmung gegenüber der Vertrautheit und Berücksichtigung der Flugvorschriften beitragen konnten. Insbesondere wurde erläutert, dass, immer vor dem Unfall, die in Aviano wiederangesetzten Gruppen VMAQ in der Befehskette vom COMESTRIKEFORSOUTH abhingen, dass aber dieses Kommando, das von einem amerikanischen General geleitet war, trotzdem keine Kontrollbefugnisse für die NATO-Aufträge hatte, u.a. im Bereich der Mission «Deliberate Guard» (und also auch nicht für die Nicht-D.G.-Ausbildungsflüge der amerikanischen Militärs). Es war jedoch wenigstens formell nicht verantwortlich für alle Tätigkeiten von jeder nationalen Einheit; dafür war der Oberbefehlshaber USA in Europa (CINCEUR) verantwortlich, der seinerseits Untergeordnete bevollmächtigte, auf einer Befehlskette, die teilweise anders als diejenige der NATO war. Dieser Kommandorahmen vermochte jedoch eine angemessene Kontrolle nicht zu gewähren.
Die Bevollmächtigungsreihe der Behörde der amerikanischen Kette hat nämlich eine Abschwächung wenn nicht sogar eine echte Diskontinuität der Kontrolltätigkeit seitens der USMC, die der VMAQ-2 übergeordnet war, hervorgebracht; man kann daher meinen, dass

Pag. 178

dadurch die Voraussetzungen geschaffen wurden, um mit unvorsichtiger Duldung dem Kommandanten der Gruppe eine volle Verfügungsgewalt und somit eine totale Unabhängigkeit zu überlassen, bezüglich der die Operationen in Bosnien nicht bezweckenden Ausbildung sowie bezüglich der Bewertung ihrer Erforderlichkeit und Zweckmässigkeit.
Andererseits erscheint es als ungewohnt und wenig überzeugend, dass die Behörde, wie im Fall vom COMESTRIKEFORSOUTH, der die operative Kontrolle ausübte, das Ausbildungsprogramm nicht kannte, das der Kommandant der Gruppe durchzuführen beabsichtigte und tatsächlich auch durchführte. Dies ist wenig verständlich, wenn dann dieselbe Behörde die Ausbidungsmissionen genehmigte.
Es ist daher dem Ausschuss DeLong zuzustimmen, wenn er behauptet, dass COMESTRIKEFORSOUTH einfach die Nicht-D.G.-Ausbildungsmissionen autorisierte, ohne denselben auf den Grund zu gehen und ohne Richtlinien zu erteilen. Nach dieser Meinung erliess COMESTRIKEFORSOUTH eine Art Genehmigung für die Nicht-D.G.-Ausbildung, und bestätigte somit, dass im Moment keine prioritären Erfordernisse der D.G. vorlagen und die betroffene Besatzung und Flugzeug von den NATO-Operationen abgelenkt werden durften, um andere Aufgaben zu erfüllen. In diesem Fall bestand und besteht heute noch die Frage, eine andere der VMAQ-2 übergeordnete Behörde die amerikanischen Rangordnung zurückverfolgend ausfindig zu machen, auf der Ebene des Marines-Kommando in Europa oder beim Marines-Kommando-Atlantik.
Diesbezüglich erweist der von dem Ausschuss Tricarico-Prueher gelieferte Hinweis eine höhere Glaubwürdigkeit, dass die Verantwortlichkeit für die USA-Tätigkeit (auch für die Ausbildungsflüge) scheinbar beim Kommandanten der USA-Kräfte in Europa (CINCEUR) lag, der sich mit dem Aliierten Oberbefehlshaber für Europa, SACEUR, identifizierte und der damals Gen. Clark war.
Eine Reihe von Bevollmächtigungen, Unterscheidungen der Kommando- und Kontrollfunktionen bei den amerikanischen und NATO- Befehlslinien, die zur Folge hatte, den in Aviano wiederangesetzten Marines eine weite und merkwürdige Unabhängigkeit zu überlassen, mangels effektiver Kontrollen über die durchgeführten Tätigkeiten. Eine Situation, die sie, wie man feststellen konnte, weitgehend ausgenützt haben.

4. DIE ITALIENISCHE BEFEHLSKETTE

4.1 Die Führung in Aviano und das COA/COM von Martina Franca

Da der Stützpunkt Aviano der italienischen Souveränität und Führung untersteht, sowie italienisch die ausschliessliche Verantwortlichkeit der Kontrolle des Luftverkehrs auf nationalem Gebiet ist, soll offensichtlich bei dieser Gelegenheit auch das Verhalten unserer Militärbehörden bezüglich des Fluges EASY 01 betrachtet werden.
Beide Strafverfahren haben die italienische Befehlskette betroffen - das eine fand vor der militärischen Gerichtsbehörde von Padua statt,


Pag. 179

das andere vor derjenigen von Bari (s. entsprechende Kapitel) und haben mit Einstellungsbeschlüssen abgeschlossen, wobei die jeweiligen Richter verschiedenartige, jedoch durchaus miteinander nicht unvereinbare Begründungswege, befolgt haben.
Der mit dem Vorvervahren betraute Richter beim Gericht Padua hat die technisch-juristische Begründung bevorzugt, dass die mehrmals erwähnte Meldung SMA 175 vom 21. April 1997, die die Ausbildungstiefflüge der in Italien für die Operation Deliberate Guard wiederangesetzten Truppen ausschloss, jedoch nicht geeignet war, den Begriff «Auftrag» zu begründen, bezüglich der formulierten Beschuldigung nach Art. 117 milit. Fr.StGB; diese Erwägung war absorbierend gegenüber der Frage der Prägung der Meldung, die nur zur Kenntnis dem Kommandanten des Stützpunktes Aviano zugekommen war, der ausserdem damals noch nicht Oberst Durigon war; der Richter beim Militärgericht Bari hat dagegen unterstrichen, dass die Meldung im voraus nicht als befehlend gegenüber dem Verantwortlichen des COA/COM von Martina Franca angenommen werden konnte, und daher keine strafrechtliche Verantwortlichkeit vorwies. Auch hat er gesagt, dass sie nicht als eine formell und persönlich an Oberleutnant Carratù gerichtete Auftragserteilung angesehen werden konnte: daher hat er den mangelnden Verstandesmoment des subjektiven Elementes der Straftat erörtert, d.h. das Bewusstsein der Auftragserteilung an ihn. Jedoch wäre es, dürfte man erwägen, technisch präziser, von mangelndem objektiven Element der Straftat, anstatt von mangelndem subjektiven Element zu sprechen, gerade weil der Rechtsbegriff von «Auftrag» im milit. Fr.StGB so besonders ist.
Auch über die befehlende oder nicht befehlende Prägung der Meldung SMA Nr. 175 vom 21/4/97 waren die von den Richtern von Padua und von Bari nicht auseinendergehend; der erste - der die Frage nur kurz angedeutet hat - hat jedenfalls zugegeben, dass die Meldung zur Kenntnis, obwohl sie keinen Auftrag nach Art. 117 milit. Fr.StGB begründet, jedoch für alle Adressaten die Verpflichtung bedeutete, die Vorschrift über die Tiefflüge anzuwenden (s. unten).
Deshalb verbleibt für beide Gerichtsbehörden die lediglich präjudiziale und schlüssige Tatsache, eine Verletzung nach Art. 117 milit. Fr.StGB nicht begründen zu können, da weder dem Kommandant des Stützpunktes Aviano, Oberst Durigon, noch Oberstleutnant Carratù des COA/COM von Martina Franca ein «Auftrag» anvertraut war, denn die blosse Übermittlung besagter Note vom 21. April kann nicht als ein solcher betrachtet werden.
Diese Begründung kann wirksam durch die Erläuterung ausgedrückt werden, dass ein Auftrag - im formellen Sinn und mit der technisch-juristischen Bedeutung laut Art. 117 milit.Fr.StGB - spezifisch ad personam erteilt sowie zeit-, zweck-, verfahrens- und durchführungsmässig bestimmt werden soll, während die Erfüllung einer mit der funktionellen Position des einzelnen Militärs verbundenen Pflicht etwas ganz anderes ist (auch wenn man der Meldung des 21/4/97 eine unmittelbare befehlende und erga omnes gerichtete Bedeutung zuschreiben will).

Pag. 180


Angesichts des Grundsatzes der strengen Rechtsmässigkeit der beschuldigenden Normen, die diese als analog ausdehnbar darstellt, erweist sich Art. 117 milit.Fr.StGB als weder gegen Oberst Durigon noch gegen Oberstleutnant Carratù anwendbar, wie es auch für die anderen vom milit.Fr.StGB vorgesehenen Beschuldigungen war, u.zw. Ungehorsam, übertretene Dienstanweisung o.a.
Es ist gleichwohl nicht anzunehmen, dass eine andere Formulierung der Strafnorm oder der anderen Vorschriften des milit.Fr.StGBs, die im vorliegenden Fall hervorgekommenen Verhalten zu verhindern oder angemessener zu bestrafen, gestattet hätte: in der Tat war und ist der aktuelle Strafmassmahmenapparat, obwohl gewiss vervollkommnungsfähig, und sicher zweckdienlich (abgesehen von der allgemeinen Veralterung des milit.Fr.StGBs, die verschiedene Aspekte betrifft), während - umgekehrt - eine Ausdehnung der Strafmassnahme auf jede übertretene Dienstanweisung des Militärs schwer vorzuschlagen wäre; kriminalpolitisch angesehen, würde sie übermässig und unbestimmt bestrafen, verfassungsmässig angesehen, würde sie letztendlich nicht zur Blankostrafnorm, sondern zur völlig unbestimmten Vorschrift und daher würde sie den Grundsatz nullum crimen sine lege verletzen.
Man möchte folgendes erläutern: am Ursprung des Cermis-Unglücks sind nicht gar strafrechtliche Gesetzlücken, sondern andere Fragen. Anders gesagt, hätten weitere Strafmassnahmen den von dieser Enquete-Kommission festgestellten Kern des Problems nicht berührt, u.zw.: das völkerrechtliche Problem der Spaltung der Gerichtsbarkeit zwischen Ursprungsstaat und Aufenthaltsstaat; die effektive Macht des italienischen Militär-Kommandanten über die von den Vereinigten Staaten genutzten Stützpunkte in unserem Staatsgebiet; das Bestehen von Verzichtverhalten und/oder -praxis seitens des letzteren gegenüber seiner amerikanischen Gleichgestellten. (s. unten)
Keine weiteren Verantwortlichkeiten der italienischen Befehlskette können festgestellt werden, auch nicht bezüglich der Normen des StGB, die die fahrlässige Tötung und die fahrlässige Transportgefährdung bestrafen, die vom Staatsanwalt von Trient gegen die amerikanischen Militärs ausgesprochen wurden: selbst wenn nämlich der Flug EASY 01 gegen die Meldung vom 21/4/97 verstiess, hätte dies ohne das regelwidrige Flugverhalten - selbständig verursachend - der Besatzung den Unfall nicht verursacht und, umgekehrt, selbst wenn der Flug entsprechend der Meldung SMA 175 vom 21/4/97 auf 2000 Fuss geplant worden wäre, hätte dies das wagehalsige Flugverhalten derselben Besatzung nicht verhindert, auch angesichts der nachlässigen Duldsamkeit der Vorgesetzten (s. oben).
Anders gesagt, haben weder das Verhalten des Kommandanten von Aviano noch das des Verantwortlichen des COA/COM von Martina Franca die Tragödie verursacht oder mitverursacht. Das erklärt, warum der Staatsanwalt von Trient die Anfangs-Beschuldigungen gegen Oberst Durigon nicht beibehalten hat, u.zw. die mehrfache fahrlässige Tötung und die fahrlässige Transportgefährdung, um gegen

Pag. 181

ihn die weniger schwere Beschuldigung nach Art. 117 milit. Fr.StGB auszusprechen, und der militärischen Gerichtsbehörde von Padua die Untersuchung aus Zuständigkeitsgründen zu übermitteln.
Die Unterlassungen von Oberst Durigon erscheinen eher anderer Natur zu sein.
Wie vorausgeschickt, erschweren gerade die mangelnden operativen Machtbefugnisse des Kommandanten von Aviano die Feststellung eines von ihm zu erfordernden Verhaltens, das auch das Schadensereignis zu vermeiden vermochte. Es handelt sich um einen unverzichtbaren logischen Schritt, um irgendeine strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen Unterlassung gegen ihn auszusprechen. Dementsprechend hat sich auch der Ausschuss Grosso für die Reform des Strafgesetzbuches ausgedrückt und dabei die Hauptorientierung von Rechtssprechung und Rechtslehre übernommen.
Dies rechtfertigt jedoch die vom Kommandanten von Aviano bei dieser Gelegenheit bewiesene Untätigkeit nicht.
Es soll diesbezüglich von der Meldung SMA 175 vom 21/4/97 ausgegangen werden, die hauptsächlich die Herabsetzung aufs geringste der sozialen und umweltbezogenen Folgen der Tiefflüge bezweckte. Einige Àmter waren deren direkte Adressaten, andere - darunter der Kommandant des Stützpunktes Aviano und der Verantwortliche des COA/COM von Martina Franca - bekamen sie zur Kenntnis (s. jew. Zeichen «to» und «info»). Jedoch hat auch die einfache Übermittlung zur Kenntnis von sich aus einen Minimalinhalt, der nicht als blosse Nachricht erachtet werden kann, da jede Information den Adressaten wenigstens dazu veranlassen sollte, sie bei seiner Diensterfüllung zu berücksichtigen. Eine einschränkende Auslegung würde diese besondere Richtungsart äusserst banalisieren und die Auswahl der Adressaten derelben Information praktisch belanglos machen.
Dies verringert die Bedeutung der Frage, ob die Art der Meldung befehlend oder benachrichtigend war, was fast ein falsches Problem ist, wenn man, anlehnend an den Einstellungsbeschluss des mit dem Vorverfahren beim Militärgericht von Padua betrauten Richters, betrachtet, dass auch der Adressat zur Kenntnis verpflichtet war, den ihm mitgeteilten Voreschriften nachzukommen. Anders gesagt, hatten sowohl der direkte Adressat als auch der Adressat zur Kenntnis dieselbe Pflicht - und zwar die Tieffluggrenze zu berücksichtigen - , mit dem einzigen Unterschied, dass der erste unmittelbar und unbedingt alle zur Beachtung der Note erforderlichen Initiativen veranlassen, und eventuell den Vorgesetzten darüber berichten sollte, der zweite erst bei der Prüfung eines der betroffenen Vorschrift nicht entsprechenden PVG (s. den Fall von Oberst Durigon) in Anspruch genommen war, wie es dann im vorliegenden Fall geschehen ist.
Dementsprechend ist es dann unbestreitbar, dass die Meldung dem Kommandanten von Aviano eine Verpflichtung auferlegte, wenigstens dem SMA und den amerikanischen Offizieren mitzuteilen, dass der Flug EASY 01 die geltenden Vorschriften über die Tiefflüge verletzte. Dementsprechend lautet ausdrücklich auch die Begründung des Einstellungsbeschlusses des mit dem Vorverfahren beim Militärgericht von Padua betrauten Richters, welcher zuzustimmen ist.

Pag. 182


Das Zusammenwirken von Verzichtverhalten, die leider oft nachdrücklicher als die geltenden Normen sind, und von mangelnden operativen Befugnissen hat den italienischen Kommandanten von Aviano - der immerhin der erste insitutionelle Ansprechpartner seiner amerikanischen dort tätigen Gleichgestellten war - dazu veranlasst, sogar die Verpflichtung nicht wahrzunehmen (die doch von den technischen Vereinbarungen über die Verhältnisse zwischen den Militärbehörden vorgesehen war), die amerikanische Führung darauf hinzuweisen, dass der Flug die Meldung vom 21/4/97 verletzte. Dies hätte jedoch für die italienischen Militärbehörden die Wichtigkeit der Herabsetzung der sozio-ökologischen Folgen der betroffenen Flüge unterstrichen und gleichzeitig die bereits achtungslose amerikanische Gegenpartei entsprechend sensibilisiert. Sollte dann die Spaltung weiter bestehen, hätte Oberst Durigon die oberen Behörden damit betrauen müssen, wie vom mehrmals erwähnten Memorandum vom 30/11/93 ausdrücklich vorgesehen.
Es ist durchaus keine rein formelle Frage, weil die Glaubwürdigkeitskraft bezüglich des Respektanspruches der technischen und juristischen Regelung im vorliegenden Fall eine wirkungsvollere Rolle als die Regelung selbst gespielt hat.
Anders war dagegen die Position von Oberstleutnant Carratù, denn er war - anders als Oberst Durigon - nicht einer der institutionellen Ansprechpartner der amerikanischen Führung in Aviano, sondern hatte eine bestimmte technische Aufgabe, d.h. die Flüge zu «dekonfliktieren» (u.zw. für den gesamten italienischen Luftraum, was einen erheblichen Arbeitsaufwand bedeutete). Darüber hinaus wurde ihm der Flugplan bereits vom Operationnenbüro und vom italienischen Kommando des Flughafens Aviano übermittelt und dies hatte die Annahme seiner Regelmässigkeit veranlasst. Das alles scheint die Entschuldigung zu begründen, dass er keine Widrigkeit gegen die Meldung vom 21/4/97 ersehen hat und folglich seine Vorgesetzten darüber nicht informiert hat.

Back Forward